Um Leben und Tod:

Gestorben wird in Neunergruppen

Eine todsichere Geldmaschine


Meine Knie schmerzen und langsam werde ich doch ein bisschen nervös. Mein letztes Stündchen hat nun also wirklich geschlagen. „Pascal Nufer, 33“ steht auf dem Zettel, den ich gegen ein Entgelt von 80 Baht am Schalter gleich neben dem Krematorium erstanden habe und der mir nicht weniger als ein neues Leben verspricht. Gierig saugt das kleine Stück Papier den kalten Schweiß auf, der aus den Poren meiner Hände tritt, während ich mich an einen Strauss Orchideen klammere und auf eine rosigere Zukunft hoffe.
Ich starre auf die dicken Speckwulste, die aus dem Hals des Abtes eine Art Ballon machen, einen Ballon auf dem sein Kopf als runde glänzende Kugel thront, die im Takt zu seinem Gesang hin und her schaukelt. Die Wulste blähen sich mit jedem Laut, den er in die Menge ruft auf. Es ist ein Totengesang, von dem ich kein Wort verstehe. Ich rutsche ein Bisschen zur Seite und lasse mein Gesäß auf dem Teppichboden ruhen um endlich meine Knie etwas zu entlasten. 40 Minuten Kniepose ist nichts für meine westlich gebaute Statur, denke ich und frage mich, ob denn der aufgeblähte Hals des Mönchs nicht jeden Moment platzen könnte.

Um Leben und Tod

Erst als ich unsanft in die Seite gestoßen werde, merke ich, dass ich längst abgeschweift bin. Ich solle mich wieder richtig hinknien, gibt mir der ältere Herr zu meiner Linken mit eindeutigen Handzeichen zu verstehen. Ich blicke mich um, und wirklich: Ich bin nicht nur der einzige Europäer im Raum sondern auch der einzige der sitzt. Alle anderen der rund 200 Leute in der von Neonlicht durchfluteten Halle knien andächtig und folgen devot dem Gesang des Abtes und seiner fünf Gehilfen. Es ist eine ernste Angelegenheit. Es geht schließlich um Leben und Tod hier. Oder besser gesagt zuerst um Tod und dann vielleicht um Leben. Ich habe mich nämlich entschieden am 12.12.2008 ein neues Leben zu beginnen. Heute sei ein gutes Datum, hat mir der Mönch, der am Eingang zum Tempel die Leute segnet versichert. Eigentlich sei aber jeder Tag gut, fügte er auch gleich an, als ich fragte, warum denn die riesengroßen Parkplätze vor dem Tempelgelände heute noch fast leer seien. Die Parkplätze seien aufs Wochenende ausgelegt und deshalb erschienen sie heute relativ leer. Es ist wohl alles eine Frage der Optik, denke ich mir, genau so wie der dicke Hals des Abtes, der wohl seiner Stimme mehr Volumen verleiht, für mich jedoch vielmehr ein Beweis ist, dass dieser Wohltäter sich offensichtlich auch ganz gut um sein eigenes Wohl kümmert. Seit er das Amt des Abtes vor  drei Jahren übernommen hat im Wat Prommanee geht es rund in diesem mittlerweile landesweit bekannten Tempel in der Nähe von Nakhon Nayok. Busladungen von sterbewilligen Thais pilgern an den Ort, der einen Neuanfang verspricht. Es hat sich längst herumgesprochen, dass man hier für ein paar Baht etwas kriegt, das man sonst nur einmal bekommt: Ein neues Leben. Was für den Tempel innert Kürze zum Goldesel geworden ist, lockt mittlerweile Tausende von Besuchern in die beschauliche, ländliche Gegend. „An guten Wochenenden sind es über 700 Leute pro Tag“, erzählt der Mönch, der mir für 100 Baht mit weißer Tanakapaste ein buddhistisches Zeichen des Segens auf die Stirne malt.  Wenn man die Zeremonie wirklich ernst nehme, müsse man dreimal hierherkommen, erst dann sei sicher, dass das neue Leben auch wirklich das Glück verspreche, das man wolle.

Im Einklang mit den Zehen

Einmal ist aber für mich genug!  Das sagt mir schon der Schmerz in meinen Knien, der jetzt kaum mehr auszuhalten ist und ich befürchte, dass es wohl längst nur noch ein paar letzte Tröpfchen Blut sind, die die Reise bis in die letzen Enden meiner Zehen schaffen, so taub wie sich die anfühlen. Das Leben ist offenbar auch als Buddhist ein Leidensweg, nicht nur als Christ, schießt es mir durch den Kopf. Doch das sanfte und freundliche Zunicken meines Nachbarn gibt mir Mut. Endlich fühle ich mich in Einklang mit mir, meinen Zehen, meinem Nachbarn und den wundersamen Tönen aus dem Hals des Abtes und ich bin bereit für den Sarg. Es ist ziemlich genau eine Stunde her, seit ich beim Kassenhäuschen das Ticket für meinen letzten Gang gekauft habe und mit mulmigem Gefühl den üppig geschmückten Raum mit den neun offenen Särgen betrat. Nun ist es also so weit. Der Hals des Abtes hat gehalten und zusammen mit den Rund 200 anderen Leuten im Raum werde ich also in wenigen Minuten dieses Leben verlassen. In Reih und Glied stehen wir an, denn gestorben wird in Neunergruppen.

543 Jahre älter

Plötzlich entsteht Hektik und mein innerer Einklang wird innert Kürze zum Techno-Beat.  Langsam findet auch das Blut wieder den Weg in meine Zehenspitzen. Wie Parkplatzeinweiser nur ohne Trillerpfeife winken nun die Mönche die Sterbewilligen im Zwei-Minuten-Takt ins neue Leben. Einsteigen, abliegen, beten und ab ins neue Abenteuer! Ich bin als nächster dran. Mein Mund fühlt sich trocken an und ich wünsche, ich hätte mir vor einer Stunde beim Eingang zum Tempel doch noch eine Tasse Espresso genehmigt, statt diese aufs nächste Leben zu verschieben. Jetzt ist es zu spät. „Die nächsten bitte!“ schon führt mich ein Mönch in orangefarbener Robe vor meinen Sarg. Blau ausgekleidet wie die Tiefe des Meeres liegt die Holzkiste zu meinen Füssen. Eine kleine Stufe erleichtert den Einstieg ins Jenseits. Ein kurzes Zögern, zwei Schritte und da liege ich auf dem Rücken, die Hände gefaltet, Orchideen auf dem Bauch. Ein Deckenventilator versucht die letzen Erinnerungsfetzen meines alten Lebens wegzufegen und schon schließt sich der Sarg. Meine Augen bleiben offen, denn ich will sehen wie es ist, tot zu sein. Mönchsgesang, erfüllt die Enge der Kiste und über mir schwebt ein hellbläuliches Tuch wie eine Schaumkrone, die gegen das Dunkel des Meeres kämpft. So habe ich mir sterben nicht vorgestellt und ohne es zu merken bin ich auch bereits wiedergeboren. Der Mönch, der mich zum Ende des letzten Lebens begleitete, ist auch schon da, er war offenbar schneller als ich. Er streckt mir die Hand entgegen und hilft mir aus dem Sarg. Da bin ich also. Neu geboren und gleich 543 Jahre älter. Denn ab heute werde ich nun wohl definitiv auch ein buddhistisches Geburtsdatum haben, nämlich den 12.12.2551.

Pascal Nufer


SERIE: THAIZEIT IN GEFAHR! In Thailand muss man nach dem Verrückten nicht suchen – man findet es praktisch an jeder Straßenecke.  Für manchen Urlauber ist schon ein ganz normaler Markt eine Grenzerfahrung. Bei denen, die schon länger in Thailand sind, ist die Reizschwelle deutlich höher. Deshalb haben wir uns für all jene die den Nervenkitzel  vermissen auf die Suche nach den letzten Abenteuern der Großstadt gemacht. Unsere Redakteure haben das zweifelhafte Vergnügen,diese zuerst für alle THAIZEIT-Leser auszuprobieren. Denn nichts bereitet uns mehr Freude, als unsere Kollegen einmal so richtig leiden zu sehen ... Wat Pommanee Der Tempel Wat Pommanee liegt rund zwei Autostunden oder gut 100 Kilometer nördlich von Bangkok bei Nakhon Nayok. Die Sterbezeremonie findet täglich um 10.00 Uhr morgens und um 13.00 Uhr nachmittags statt. Dieser Kult geht auf einen Brauch zurück, bei dem sich alte, gebrechliche Menschen kurz vor dem Tod schon einmal in den Sarg legten um dann angeblich neuen Lebensmut zu schöpfen. Viele Thailänderinnen und Thailänder sind jedoch mit dieser totalen Kommerzialisierung, wie sie im Wat Pommanee stattfindet gar nicht einverstanden da sie mit der ursprünglichen Lehre des Buddhismus nichts mehr zu tun hätte. In den letzten Jahren haben sich auch diverse andere Tempel zu regelrechten Geldmaschinen entwickelt, weil sie zum Beispiel Glücksbringer verkaufen oder angeblich besonders gute Wahrsager auf ihrem Gelände haben.

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