Kinderzeit:

Von kranken Kindern und armen Ärzten

In der heutigen Kolumne geht es um die besondere Beziehung von Kindern zur Medizin: Ob rosa Tropfen, lila Lutschbonbons oder süßer Saft – deren Verabreichung kann schon mal in einen wahren Ringkampf ausarten.


Es gibt ein traumatisches Erlebnis aus den ersten Monaten mit Baby Anton, an dass ich nur mit Schrecken zurückdenke: Mein Kleiner ist drei Monate alt, wir sind auf Weihnachtsferien in Deutschland und Anton wird krank – aber richtig: Es begann schon im klimatisierten Flugzeug mit laufender Nase und nahm seinen Höhepunkt als wir bei  Oma Christel eintrafen, die vergessen hatte in unserem Zimmer die Heizung hochzufahren: “Ja, aber so kalt ist es doch noch gar nicht”, fand sie, während uns die Gänsehaut den Rücken herunter lief und Eiszapfen aus der Nase wuchsen. Oh jemine!
Bibbernd kuschelten wir sonnenverwöhnten “Thailänder” uns zu dritt unter eine Decke und wurden trotz heißer Suppe und einer Überdosis Vitamin C von einer saftigen Erkältung heimgesucht:


Schnupfen ohne Ende, röchelnder Husten und Schmerzen in jedem Glied. Anton schrie den ganzen Tag und anstatt bei Tante Anni lecker Apfelkuchen zu schlemmen, warteten wir zwei Tage vor Weihnachten im überfüllten Wartezimmer von Kinderarzt Alfred Becker - dem einzigen Doktor weit und breit, der noch Sprechstunde vor den Feiertagen hatte. Nachdem ich zwei Stunden lang, wie eine Wahnsinnige, mein krankes Kind vor den herumfliegenden Viren im Wartezimmer verteidigte, wurde Anton ausführlich untersucht. Der Fall war klar: Grippe. Die erste rosa Dosis Antibiotika wollte Doktor Becker gleich selbst verabreichen – eine fatale Entscheidung!
Denn nun begann das wahre Drama: Schon während der Doktor die Spritze aufzog, machte Anton sich bereit, um sich gleich darauf in einen wahren Schreikrampf hineinzusteigern. Es ging gar nichts: Mit knallroter Birne versuchte  mein Sohn (der damals eigentlich gerade mal eine Rassel halten konnte) dem etwas hilflosen Kinderarzt die Spritze aus der Hand zu schlagen. Beruhigende Worte und Streicheleinheiten von Papa und Mama taten ihre Wirkung fehl: Das Kind war nicht zu beruhigen und mit Gewalt flösste der Doktor den heilenden Saft in Antons Schnute - der ihn gleich darauf einfach wieder ausspuckte.
Jede Mutter weiß: Es gibt nichts Schlimmeres als sein Baby fürchterlich leiden zu sehen. Doch als nach drei weiteren Versuchen mehr Saft am Arztkittel klebte als in Antons Mund, verlor der Mann völlig die Geduld und bezeichnete meinen süßen Engel als einen “richtigen Teufel”.
Total daneben fanden wir! So hatten wir uns unseren ersten Besuch bei einem deutschen Kinderarzt eigentlich nicht vorgestellt.  Etwas baff verließen wir die Praxis und sehnten uns nach unseren Thai-Kliniken mit perfektem Service, ewig lächelnden Krankenschwestern und den kinderlieben Göttern in weiß zurück. Noch fünf Tage lang mussten wir damals unserem Liebling die Medizin verabreichen. Für uns wie für ihn jedes Mal eine  wahre Zerreißprobe.
Zurück in Thailand wurde Anton im ersten Lebensjahr noch von diversen Kinderkrankheiten heimgesucht: Von einfachem Fieber über geschwollene Mandeln bis hin zum Schnupfen-Klassiker. Jedes Mal stöhnten wir auf, wenn die Ärzte zu Antibiotika rieten - ihrer vermeintlichen Wunderwaffe. Und wir griffen auf alle Tricks zurück, die uns die Thai--Krankenschwestern verrieten: Etwa den Finger seitlich in den Mund stecken und dann schnell die Spritze hinterher. Oder - ganz tricky – die Flüssigkeit einfach während des Schlafens einflössen.
Bis er ein Jahr alt war, war jede Art von Medizin sein wahrer Feind: Ob getarnt als Himbeersaft, versteckt im Honig oder zerdrückt im Apfel-Birne Brei.
Doch um seinen ersten Geburtstag herum, vollzog sich eine für uns völlig schleierhafte Wandlung: Plötzlich wurde unser kleiner „Doktorschreck“ völlig verrückt nach Medizin. “Haben wollen, haben wollen”, schrie er laut als ich, eines Tages das (fast abgelaufene) Multivitaminkonzentrat aus dem Kühlschrank holte. Mit Genuss verdrückte er von nun an all die rosaroten Säfte und wurde ganz verrückt nach den kleinen homöopathischen Kugeln gegen Wehwehchen aller Art.
Heute ist unser Sohn drei Jahre alt und sobald er eine Medizinflasche zu Gesicht bekommt, ruft er fordernd: “Anton will das alleine machen!””, füllt sich die Spritze mit dem Saft randvoll, saugt sie mit Hingabe bis auf den letzten Tropfen aus, lächelt genussvoll - und tut so als ob das nie anders gewesen wäre!
Ute Bäuchl

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