Not nach Landung:
Die gepfändete Boeing 737 auf dem Flughafen München. (Foto: Wikimedia Commons/ M(e)ister Eiskalt)
Der Pfandflieger und was bisher geschah
Thailand, Deutschland, der Insolvenzverwalter und ein Prinz: Chronologie eines Schuldenstreits.
12. Juli 2011: Die Financial Times Deutschland berichtet, dass auf dem Münchner Flughafen die Boeing 737, mit der Maha Vajiralongkorn, Kronprinz von Thailand, nach Deutschland geflogen ist, beschlagnahmt wurde.
Die aufsehenerregende Pfändung bringt einen Schuldenstreit ans Tageslicht, der lange Zeit in Diplomatenkammern gärte: Der thailändische Staat steht bei Werner Schneider, dem Insolvenzverwalter des bankrotten Baukonzerns Walter Bau, mit 36 Millionen Euro in der Kreide.
Thailand schuldet dem Unternehmen das Geld, weil die Regierung es der Walter Bau durch Restriktionen unmöglich gemacht hat, ein in den 80er-Jahren gestartetes Maut-Projekt auf einer Autobahn in Bangkok profitabel zu führen.
Ein internationales Schiedsgericht in Genf hat im Jahr 2009 über diesen Sachverhalt geurteilt und dem Insolvenzverwalter Recht zugesprochen.
15. Juli: Thailands Außenminister Kasit Piromya schaltet sich ein.
Er bezeichnet die Pfändung der Boeing als "riesigen Fehler" und fliegt persönlich nach Deutschland. Nicht an den Tatort nach München, sondern nach Berlin. Dort spricht er im Auswärtigen Amt vor.
16. Juli: Im Auswärtigen Amt ist der Chef außer Haus: Guido Westerwelle weilt in Mexiko. Kasit wird von Staatsministerin Cornelia Pieper empfangen. Sinngemäß lautet ihre Botschaft an den Thailänder: Kann man nichts machen.
Pieper sagt, der Fall liege "in den Händen der unabhängigen deutschen Justiz". Und dass sie die Unannehmlichkeiten, die dem Kronprinzen durch die Pfändung des Flugzeugs entstanden sind, bedauere.
Die unabhängige deutsche Justiz ist in diesem Fall das Landgericht Landshut. Den Eilantrag der thailändischen Regierung, die Boeing abheben zu lassen, weist das Gericht ab: Es sieht es nicht als bewiesen an, dass der Flieger – wie von Bangkok behauptet – dem Kronprinzen gehöre und nicht Staatseigentum sei.
18. Juli: Frage: Was macht ein Prinz ohne Flugzeug? Antwort: Erdbeeren pflücken. Und Sportwagen bewachen lassen.
Über das Erdbeerfeld ist Seine Majestät bereits vor der Pfändung gestreift. Durch die Boeing-Affäre rückt das Leben des thailändischen Monarchensohns in Deutschland ins Rampenlicht. Ein bayerisches Boulevardblatt horcht also den Bauer aus, dem die Fruchtäcker gehören. Frage: Wie viel Erdbeeren hat der Prinz gesammelt? Antwort: 60 Kilo.
Nach der Pfändung der Boeing wird Maha Vajiralongkorn gegenüber der unabhängigen deutschen Justiz misstrauisch. An seinem Sportwagen, der in der Tiefgarage eines Münchner Luxushotels parkt, lässt er ein Diplomatenkennzeichen anbringen, vor Wagen und Kennzeichen werden Leib- und Blechwächter postiert.
19. Juli: Dr. Christoph Fellner ist die Stimme der unabhängigen deutschen Justiz, in diesem Fall des Landgerichts Landshut. Er sagt: "Im Kern geht es darum, wem das Flugzeug gehört."
Das Gericht gibt beiden Parteien – dem Insolvenzverwalter Werner Schneider und dem Staat Thailand – bis zum 23. Juli Zeit, ihre Sicht der Dinge in Akten zu packen.
In der Zwischenzeit in Wasserburg: Die Leibwachen umstellen nicht mehr den Sportwagen, sondern ein Spielzeugwarengeschäft. Darin: Der Prinz mit Familie. Ein bayerisches Boulevardblatt erkundigt sich bei der Spielzeugwarengeschäftbesitzerin, was in ihrem Laden vorgefallen sei. Antwort: "Der Kronpirnz interessierte sich vor allem für unsere Modellautos".
20. Juli: Überschrift im Südkurier: "Starterlaubnis für 20 Milionen Euro".
Auf diese Höhe hat das Landgericht Landshut die Kaution festgelegt, die für die gepfändete Boeing hinterlegt werden muss.
Die Kernfrage (Wem gehört das Flugzeug?) soll in einem weiteren Verfahren geklärt werden.
22. Juli: Die Boeing bleibt am Boden: Keiner will die Kaution zahlen.
Thailands Außenminister Kasit Piromya beharrt darauf, dass der Jet dem Kronprinzen gehöre. Warum also Kaution bezahlen, fragt er. Der Königsspross sei durch die Pfändung überdies in "peinliche und bedauernswerte Umstände" gebracht worden.
22. Juli: Die deutsche Botschaft in Bangkok veröffentlicht eine Mitteilung. Darin heißt es, Thailand solle "so rasch wie möglich" die Schulden an den Insolvenzverwalter begleichen.
Mit dem Statement wird publik, dass die deutsche Regierung Thailand wiederholt dazu aufforderte, die 36 Millionen Euro zu zahlen.
26. Juli: Bangkok ist empört. Eine Einmischung der deutschen Regierung in den Schuldenstreit verbiete man sich, heißt es von der thailändischen Regierung.
Im gleichen Atemzug macht Thailand seinem Ärger darüber Luft, dass Deutschland das Einreiseverbot für Ex-Premier Thaksin aufgehoben hat.
28. Juli: Kronprinz Maha Vajiralongkorn hat Geburtstag. Während sich die Maschine, mit der er in Deutschland landete, noch dort befindet, hat er das Land verlassen.
28. Juli: Der scheidende Premierminister von Thailand, Abhisit Vejaijva, nimmt Stellung zur Mitteilung der deutschen Botschaft. Er bezeichnet sie als "unangebracht".
Er sieht den Rechtsweg gegen das Schuldenurteil noch nicht ausgeschöpft. Vor einem Gericht in New York will er den Fall um die 36 Millionen Euro erneut prüfen lassen. Dieses Gericht hatte bereits dem Insolvenzverwalter Werner Schneider Recht zugesprochen – dagegen will Thailand aber Einspruch einlegen.
Geht nicht, hieß es in der Mitteilung der deutschen Botschaft.
Geht doch, sagt Abhisit.
29. Juli: Das Landgericht Landshut kündigt an, dass ein Urteil im Fall um die gepfändete Boeing 737 erst im September fallen werde.
1. August: Der Kronprinz will zahlen. Weil er hofft, die Zahlung der 20-Millionen-Kaution trägt dazu bei, den Schuldenstreit zwischen Thailand und dem Insolventverwalter beizulegen, will er die Sicherheitsleistung hinterlegen.
2. August: Der Kronprinz braucht nicht zahlen. Außenminister Kasit kündigt in seinen letzten Tagen im Amt an, die thailändische Regierung werde die 20 Millionen für die Sicherheitsleistung hinterlegen.
Damit wolle man deutlich machen, so Kasit, dass der Kronprinz nichts mit dem Schuldenstreit zu tun habe.
2. August: Der deutsche Botschafter in Thailand, Hanns Schumacher, sagt in einem Exklusiv-Interview gegenüber thaizeit.de:
"Wir haben immer wieder die thailändische Regierung diskret gebeten, dieses Problem endlich auszuräumen und zuletzt schon im März 2010 das thailändische Außenministerium schriftlich davor gewarnt, dass es zu Zwangsvollstreckungen kommen könnte."
3. August: Die Regierung will doch nicht zahlen. Thailands Premierminister Abhisit pfeift seinen Außenminister nach einer Audienz beim Kronprinzen zurück.
"Die Regierung wird die Kaution nicht übernehmen", sagt Abhisit.
Man werde aber alles unternehmen, um den Schuldenstreit mit Werner Schneider beizulegen – schließlich seien dem Prinzen dadurch Probleme entstanden.
Eine Juristen-Delegation fliegt von Bangkok nach Berlin. Ihr Auftrag: Den Fall noch im August zu lösen.
8. August: Die Regierung zahlt. Jetzt wirklich. 38 Millionen Euro werden als Sicherheitsleistung hinterlegt – sollte ein Berliner Gericht die Schuldenansprüche bestätigen, gehört das Geld dem Insolvenzverwalter Werner Schneider.
Die Summe ist gleichzeitig Kaution für die beschlagnahmte Boeing. Soll heißen: Der Flieger darf wieder abheben, der Prinz hat sein Flugzeug zurück - egal, ob es nun sein Eigentum ist oder Thailand gehört.
Christoph Stockburger
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